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02.11.2023

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Tourismusverbände: Bühnenbildner statt Hauptdarsteller?

Gemäss einer Studie von Prof. Dr. Beritelli der Universität St.Gallen beeinflussen Image-Kampagnen von Destinationen kaum, wie sich Besucher für einen Ferienort entscheiden. Vielmehr seien Freunde, Verwandte und Events für die Entscheidung ausschlaggebend. Feriengäste würden dorthin gehen, wo viele Menschen sind. Wir haben die Destinationen in unserem Netzwerk gefragt, wie sie Events nutzen, um Besucher in ihre Region zu locken.

Spitzensportevents als Speerspitze

Als Tourismusdestination ist es unser primäres Ziel, Gäste und potenzielle Gäste für die Region und unsere Angebote zu emotionalisieren. Dabei setzen wir in den Kitzbüheler Alpen-PillerseeTal schon seit vielen Jahren auf Events als Speerspitzen zu unseren Produkten.

Ob es die Freeride World Tour in Fieberbrunn zum Thema Off-Piste Skifahren, der Biathlon-Weltcup Hochfilzen oder seit einigen Jahren der Trailrunning Event KAT100 by UTMB ist, alle drei Events schaffen eine enorm hohe Emotionalisierung für unsere Angebote Freeride, Langlauf sowie Trailrunning. Angebote, welche ganzjährig oder saisonal auch in unserer Region konsumierbar sind. Bei allen drei Themen setzen wir auf Event auf höchstem Niveau, sprich Weltcup Niveau. Wir wollen sozusagen die Besten der Besten zum jeweiligen Sport als Botschafter des Sport in Verbindung mit unserer Region nutzen. Events haben sich in den letzten Jahren vor allem in der Distribution stark verändert. So entwickelte sich der Freeride World Tour Event in Fieberbrunn zu einem Live-Medienevent, mit dem wir über diverse Streamings sowie Plattformen wie TikTok, Instagram & Co Millionen von Menschen in über 60 Länder weltweit Live, aber auch Re-Live erreichen. Eine unbezahlbare Werbung und Möglichkeit für unsere Destination. Wir schaffen Reichweiten und Awareness, welche durch Marketingkampagnen nur schwer zu toppen wären.

Armin Kuen, Geschäftsführung, Kitzbüheler Alpen Marketing

Saisonverlängerung

Generell sind auch wir der Meinung, dass Destinationen nur selten die Kraft haben, erfolgreiche Imagekampagnen zu machen. Viel wichtiger ist es, für Empfehlungen und Viralität zu sorgen. Hier haben Events einen wichtigen Platz auch bei uns in der Region.

Events sind bei uns vor allem zur Unterstützung der Saisonverlängerung wichtig. Wir suchen hier gezielt nach Events, die unsere Kommunikation unterstützen. Als Veranstalter einer der größten touristischen Veranstaltungen, der European Bike Week gemeinsam mit Harley Davidson mit 70.000 Motorrädern haben wir eine hohe Kompetenz im Lande. Momentan entwickeln wir aus der Sommerveranstaltung «United World Games» - Europas grösstes Jugendsportevent - gerade eine Edition für den nächsten Winter.

Georg Overs, Geschäftsführer, Region Villach Tourismus

@Hannes Pacheiner, Region Villach Tourismus GmbH

Vielfalt und Konstanz

Events sind ein wichtiger Treiber der Gästegewinnung und der Unterhaltung der Gäste vor Ort, sie führen aber auch Emissionen und Einschränkungen, die die Gäste stören können. Neue Events bringen Abwechslung und neue Gäste. Wenn sie sich aber nur wegen eines Events für eine Destination entscheiden, können sie aber auch schnell wieder weg sein, wenn es andernorts wieder ein neues Eventangebot gibt.

Wir setzen auf Vielfalt: Davos bietet Sport und Kultur, Verrücktes und Bodenständiges, Grossevents und «klein aber fein». Neben Klassikern wie dem 100-jährigen Spengler Cup lancieren wir auch immer wieder Neuheiten. Dabei achten wir unter anderem auf eine hohe Erlebnisqualität, das Potential, Übernachtungen zu generieren und die Chancen, dass ein neuer Event zu einem mehrjährigen Erfolg wird, der sich selbst trägt. Eintagsfliegen, die kurzfristig viel Staub aufwirbeln, einen Haufen Verkehr generieren und danach ein Defizit hinterlassen, sind weniger interessant für uns.

Reto Branschi, CEO, Destination Davos Klosters

Kulturelle Veranstaltungen & Familienevents

Die Bedeutung von Events im Urlaub in Serfaus-Fiss-Ladis hängt stark von den individuellen Vorlieben und Erwartungen des Gastes ab. Einige unserer Gäste schätzen die Möglichkeit, an Veranstaltungen und Events teilzunehmen, um ihre Urlaubserfahrung aufzuwerten, während andere sich eher auf Entspannung und die Natur konzentrieren.

  1. Sportveranstaltungen wie Skirennen oder Mountainbike-Wettbewerbe spielen in unserer Destination eine untergeordnete Rolle.

  2. Kulturelle Veranstaltungen: Konzerte, Sommer Chillout, Theateraufführungen, Ausstellungen und Festivals erfahren einen Aufschwung und werden von unseren Gästen und Einheimischen vermehrt gesucht und angenommen.

  3. Familienfreundliche Veranstaltungen: hier setzen wir unseren Schwerpunkt auf Events wie MOUNDS - Das Musikfestival für die ganze Familie oder unsere beiden Kinderclubs, die eine Ganztagsbetreuung mit speziellen Aktivitäten für Kinder in verschiedenen Altersgruppen anbieten.

  4. Mit kulinarischen Veranstaltungen, Weinproben, lokalen Spezialitäten oder kulinarischen Festivals punkten wir auch, wenn es keine Ferienzeiten gibt.

Es ist wichtig zu beachten, dass nicht jeder Gast die gleichen Erwartungen an seinen Urlaub hat. Daher ist es sinnvoll, dass Urlaubsorte wie Serfaus-Fiss-Ladis eine Vielfalt an Events und Aktivitäten anbieten, um möglichst viele Interessen und Bedürfnisse abzudecken. Gäste, die Wert auf Events legen, können so ihr Urlaubserlebnis nach ihren Wünschen gestalten, während andere, die mehr Ruhe und Erholung suchen, die natürliche Schönheit und die Umgebung geniessen können.

Nach wie vor ist und bleibt Serfaus-Fiss-Ladis eine Familiendestination und wir legen großen Wert auf Convenience entlang der gesamten Reise-Customer-Jorney. Events werden gerne mitgenommen, sind aber nicht buchungsrelevant.

Dir. Josef Schirgi, Geschäftsführer, Tourismusverband Serfaus-Fiss-Ladis

Entscheidungsdreieck als Anreizmodell

Die Studienerkenntnisse von Professor Pietro Beritelli werden aktuell kontrovers diskutiert. Aber die Ergebnisse sind für uns in der Tirol Werbung keineswegs überraschend. Wir wissen aus anderen Erhebungen, dass – vereinfacht gesagt – drei von vier Urlaubsentscheidungen von Weiterempfehlungen und nicht vom Marketing angestoßen werden. Aus dem zu schließen, Imagekampagnen seien überflüssig, ist aber verwegen, denn diese arbeiten auf einer übergeordneten Ebene. Entscheidungsprozesse finden auf unterschiedlichen Bewusstseinsebenen statt und sind etwa davon abhängig, wie bekannt und attraktiv eine Urlaubsdestination ist und ob sie die konkreten Bedürfnisse bzw. Motive der Entscheider gut adressieren. Außerdem: Nur weil jemand eine Kreuzfahrt empfiehlt, wird aus einem Skiurlauber nicht gleich ein Kreuzfahrer. Events sind – ähnlich wie der Preis oder direkte Empfehlung von Freunden – starke Anreize in der Entscheidungsfindung. Motiv und Emotion bilden zusammen mit Anreizen immer ein Entscheidungsdreieck. Der Tiroler Tourismus setzt stark auf dieses Anreizmodell – und die Tirol Werbung unterstützt das, wo immer Events zur Marke und zu unseren Zielgruppen passen.

Patricio Hetfleisch, Bereichsleitung Marketing & Kommunikation, Tirol Werbung

Langfristige Bindung schaffen

Events sind ein Multiplikator der Gästesympathie. Täglich arbeiten wir daran, dass unsere Destination durch einzigartige Events nach aussen strahlt, Menschen zusammenbringt und unvergessliche Erinnerungen schafft. Ein Beispiel dafür ist das Verve Techno Festival. Im Dezember 2022 wurde das Festival zum ersten Mal in der Destination Andermatt durchgeführt und lockte 2'500 Techno-Fans in die Berge. Für die zweite Ausgabe am 9. Dezember 2023 sind bereits 70 Prozent der Tickets verkauft.

Events bieten die optimale Plattform, um die Vielfalt unserer Destination in den Fokus zu rücken. Dies gilt auch für neue Communities. Andermatt ist mit den umliegenden Alpenpässen das Basecamp für Rennradbegeisterte. Dass es aber abseits des Verkehrs auf Schotterwegen die perfekten Bedingungen für ein Gravelbike-Rennen bietet, hat man erst vor zwei Jahren durch das Octopus Gravel entdeckt. Seitdem steigt die Teilnehmerzahl für das beliebte Rennen jährlich.

Entscheidend ist die Integration der Events in der Destinationsstrategie. Es gilt, aus den Begegnungen an den Events eine langjährige Beziehung zu schaffen.

Hugo Farey, Event & Activities Manager, Andermatt Swiss Alps

Ständige Weiterentwicklung

Ischgl war und ist nicht zuletzt die Tourismusdestination in Tirol, die als Vorreiter bei der Durchführung von Events als Teil des Marketingmixes gilt. 1995 fand das erste Konzert auf der legendären Ischgl Bühne statt – damals gab sich ein nicht geringerer als Elton John die Ehre. Bis heute folgten zahlreiche Stars wie Tina Turner, Robbie Williams und Helene Fischer – um nur einige zu nennen.

Vor zwei Jahren haben wir zusätzlich die Event-Reihe Spring Blanc eingeführt, um die Bespielung des Frühjahrs mit einer Vielzahl an abwechslungsreichen Highlights zu verstärken. Wir verlängern damit die Wintersaison in den April, da Ischgl, im Vergleich zu anderen Destinationen, einen schneesicheren Skibetrieb bis zum 1. Mai garantieren kann. Neben drei Konzerten, finden zahlreiche weitere sportliche und kulinarische Highlights im Rahmen der Spring Blanc Event-Reihe statt.

Und auch im Sommer zählen wir seit vielen Jahren auf bewährte Events, wie z.B. den legendären Ischgl Ironbike, bei dem sich die internationale Mountainbike-Elite misst oder die E-Bike WM, die in diesem Jahr einen Guinness-Weltrekord mit über 1.300 Teilnehmern erzielte. Um die Saison zu verlängern haben wir eine Eventserie unter dem Namen „Golden Summits“ geschaffen, die heuer bereits zum zweiten Mal stattgefunden hat. Sechs Wochen lang dreht sich bei uns alles um Kultur, Sport und Kulinarik. Neben der bereits erwähnten E-Bike WM, sind die Hauptevents das Boulder X Mountainbike Weekend, das Paraglide Weekend mit dem Staffeltriathlon Geigerman und das Sunny Mountain Herbstfest. Abseits des Sports finden zudem zahlreiche Side-Events mit Fokus auf Genuss & Kultur, wie der Paznauner Markttag und die Internationale Käseolympiade, im gesamten Paznaun statt.

Zum einen ist es wichtig, dass Events zur Destination passen und die Infrastruktur sowie das Produktangebot widerspiegeln, das Gäste den ganzen Sommer oder Winter auch vor Ort erleben können. Zum anderen müssen wir immer mit dem Zeitgeist gehen, neue Trends erkennen und diese mit zielgerichteten Maßnahmen nutzen. So werden wir nächstes Jahr z.B. erstmals den PIUT veranstalten – eine Trailrun-Veranstaltung mit einer Ultratrail-Distanz über den Paznauner Höhenweg, einer der schönsten Weitwanderwege in Tirol. Gerade was das Trailrunning betrifft, erkennen wir sowohl beim Publikum als auch bei den Rennteilnehmern ein enormes Potenzial.

Die Studienergebnisse betrachte ich etwas differenziert. Unser Mittel der Wahl ist ein ausgewogener Marketingmix, in dem für uns Image-Kampagnen eine wichtige Rolle spielen. Diese werden auch weiterhin ein Tool sein, um Aufmerksamkeit zu generieren und v.a. im Online-Bereich auf konkrete (Buchungs-)Angebote hinzuweisen.

Daher werden wur auch in der Zukunft auf neue Events setzen sowie bewährte Eventkonzepte weiterentwickeln und in einem sinnvollen Marketingmix integrieren.

Saskia Schweiger, Dirrektorin Marketing, Kommunikation & Events, Tourismusverband Paznaun-Ischgl

Fazit

Die dreijährige Studie des HSG-Professors Pietro Beritelli stellt vier Annahmen im Bezug auf die Wahl der Destination von Besuchern auf.

  1. Social Life: Auf Social Media sind Empfehlungen von Freunden buchungsentscheidend, nur selten die Posts von Influencern. Zudem ist eine Buchungsentscheidung meist eine Gruppenentscheidung.

  2. Heimatgefühl: Besucher müssen sich wohl fühlen und kommen gerne regelmässig an den gleichen Urlaubsort zurück, da viele Besucher gerne beim Urlaub eine Routine haben und sich in einer ihnen bekannten Umgebung aufhalten wollen. Daher ist eine emotionale Bindung der Besucher an die Destination wichtig.

  3. Veranstaltungen triggern Entscheidung: Events können bei einer kurzfristigen Entscheidung unterstützen und Besucher in die Region bringen. Darüber hinaus fördern konkrete Angebote von Hotels oder Airlines die Entscheidung massiv. Ein Event oder ein Angebot, auf das man direkt klicken und buchen kann, fördert somit die spontane Buchungsentscheidung, doch die Events und Angebote müssen es schaffen, eine emotionale Bindung mit dem Besucher herzustellen, um ihn langfristig an die Destination zu binden.

  4. „Destination is not an area but its points and lines“: Besucher kommen kaum in eine Region allein der gesamten Region wegen. Sie kommen wegen einzelnen Attraktionen, die sie besuchen wollen und miteinander kombinieren. Somit ergibt es mehr Sinn einzelne Orte oder Veranstaltungen zu vermarkten als eine ganze Region als Ganzes.

Insgesamt lässt sich festhalten: Destinationen sollten der Studie nach die Angebotsentwicklung in der Region und Dienstleister vor Ort fördern, um Besucher in die Region zu locken. Events können dabei ein Trigger sein und Imagewerbung kann zumindest eine unterstützende Funktion übernehmen - vor allem bei Tagesausflügen vor Ort, wenn Besucher bereits in der Nähe der Region sind. Events können ausserdem die emotionale Bindung an die Destination fördern, was laut Prof. Beritelli sinnvoll wäre, denn laut ihm seien "die Erlebnisse der einzelnen Menschen relevant" für die langfristige Bindung an eine Destination.

"Wir sind bestenfalls Bühnenbildner, aber nicht die Hauptdarsteller" meint Beritelli, der selbst im Vorstand eines Tourismusverbandes sitzt. Strategisch wäre ihm zufolge die Investition in konkrete Angebote und Dienstleister-Unterstützung und gleichzeitig geringerer Fokus auf Imagewerbung sinnvoll. Auch wenn diese unterstützend wirken kann.


 

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